von Diether Ziermann
Am Rande der Gemeinde Fredenbeck, im Landkreis Stade, befindet sich auf lehmigem Untergrund ein mehrphasiger Siedlungsplatz. Die Entstehung der jüngsten Phase -eine Wohnsiedlung mit Ein- und Zweifamilienhäusern, Carports, Garagen und einem Abschnittswall – war Anlass für eine vorhergehende archäologische Untersuchung.
Viele Jahrzehnte lang diente das Gelände als Acker. Deshalb waren die archäologischen Quellen erst unterhalb des Pflughorizontes erkennbar, was zur Folge hatte, dass jede einzelne isoliert von den anderen lag. Anhand der geborgenen keramischen Funde lassen sich drei Zeitabschnitte früherer Besiedlungen festlegen: In die Zeit um 500 v. Chr. gehören einige wenige Gruben. Für das 1. und 2. Jahrhundert n.Chr. vermuten wir hier eine größere Siedlung. am häufigsten aber war keramisches Material des 4. und 5. Jahrhunderts im Fundgut vertreten. In die ersten Jahre des 5. Jahrhunderts datiert auch ein Langhaus. Pfosten und Wandgräben zeigen, dass im östlichen Teil das Vieh an Nord- und Südseite in Doppelboxen aufgestallt war (Abb. 1). Zu dem Gehöft werden auch ein oder zwei kleinere Gebäude und Grubenhäuser gehört haben. Mehrere Wasserspeicher und Brunnen lagen auf dem Gelände verteilt und deuten zusammen mit weiteren, nur teilweise freigelegten Hausgrundrissen und Nebengebäuden auf einen größeren Siedlungsplatz hin.
Etwas abseits von den Hausbefunden standen Rennfeueröfen zum Ausschmelzen von Eisen. Insgesamt fanden wir fünfzehn Öfen, die, nord-südlich ausgerichtet, etwa in einer Reihe lagen. Der Bereich für die Metallverarbeitung, die eher in das 4. Jahrhundert datiert, hatte einen eigenen Brunnen und Gruben für weitere Arbeiten.
Der Untergrund ist sehr tonhaltig. Ohne erkennbare Befestigung reichten runde Brunnenschächte bis zu einer heutigen Tiefe von knapp fünf Metern hinab. Auf Grundwasser trafen wir bei etwa vier Metern, niedriger wird der Grundwasserspiegel vor 1500 Jahren also nicht gewesen sein. Ebenfalls ohne eine erkennbare Versteifung oder einen eigenen konstruktiven Bauteil gab es mehrere Schächte, die der Bevorratung von Oberflächenwasser gedient haben könnten. Sie waren allerdings weniger tief und hatten einen geringeren Durchmesser, der sich auch nicht, wie bei den Brunnen, nach oben trichterartig erweiterte. In dem größten Brunnen fanden wir einen ganz gewöhnlichen ungewöhnlichen Gegenstand: Auf der Sohle stand eine Leiter (Abb. 2).
Im heutigen Alltag finden Leitern kaum unsere besondere Beachtung. Fragt man aber danach, woher dieses effiziente Arbeitsgerät stammt, verlieren sich seine Spuren schnell. Es gibt aus ur- und frühgeschichtlicher Zeit nur wenige Befunde. Das liegt vor allem an dem verwendeten Werkstoff, dem Holz, das sich in unseren Breiten im Boden nur im feuchten Milieu und unter Sauerstoffknappheit erhält.
Technisch einfacher lässt sich die Absicht, einen Höhenunterschied zu überwinden, mit einem Steigbaum lösen. In einen dicken Baumstamm werden Kerben geschlagen, die als Auftritte dienen. Leitern haben aber den Vorteil, dass sie von sich aus stehen und in der Regel leichter zu transportieren sind . Das macht sie vielseitiger einsetzbar. Allerdings muss ein technisches Problem bei deren Herstellung gelöst werden. Die Verzapfung der Sprossen in den Holmen hat so stabil zu sein, dass sich die Tritte durch Bewegungen und unebene Auflagerflächen nicht lösen und die Leiter auseinanderbricht.
Die Leiter im Fredenbecker Brunnen besteht aus Eichenholz. Die Holme sind bis zu 15 x 15 cm stark und auf einer Länge von 1,95 m erhalten (Abb. 3). Einige Zentimeter breit sind die flachen Sprossen, sie verjüngen sich zu den Holmen hin und münden in runde Zapflöcher. Eine dünne Manschette aus organischem Material hatte nach dem Prinzip des Keils für den notwendigen Halt und ausreichende Stabilität zu sorgen. Die sorgfältig abgeschrägt bebeilte Standfläche der Holme bestimmt, mit welcher Neigung die Leiter am günstigsten anzulegen war.
Aufgestellt erinnert sie mit den flachen Tritten eher an eine Stiege, die für einen festen Ort hergestellt wurde (Abb. 4). Diesen Eindruck verstärken die schweren Holme und die im Gegensatz dazu schwachen Zapfen. Die erste Stufe ist ungewöhnliche 80 cm hoch, der Abstand zur nächsten Erhaltenen beträgt 60 cm. Das obere Ende der Holme ist unregelmäßig, wahrscheinlich abgefault. Zapflöcher für den nächsten Tritt gibt es zwar nicht, in der Verfüllung des Brunnens lag aber eine weitere Stufe. Sie wurde in Kiel auf ihr C-14 Alter hin untersucht. Das Ergebnis der Probenanalyse (KI – 4211) ergab ein Kalender–Alter von 260 – 430 n. Chr. Wir können mit 90%iger Wahrscheinlichkeit ein Alter innerhalb dieses Zeitrahmens annehmen. Auf einen dendrochronologischen Datierungsversuch verzichteten wir, weil die Holme so ungünstig aus dem Stamm geschnitten sind, dass ein aussagefähiges Ergebnis nicht zu erwarten war. Da erschien es uns besser, das geborgene Denkmal, die Leiter, nicht weiter zu zerstören. Der Umstand, dass sie sich in dem feuchten Milieu eines verfüllten Brunnens befand, war entscheidend für ihre Erhaltung. Wäre ihr letzter Standort ein beliebiger an der Oberfläche der früheren Siedlung, wäre sie vergangen. Für die Nutzung des Brunnens ist es allerdings ungünstig, eine angestellte Leiter darin zu haben. Ein funktionaler Zusammenhang braucht deshalb zwischen Brunnen und Leiter nicht zu bestehen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in ‚Archäologie in Niedersachsen‘, Band 5, 2002 66-68. Hrsg. von der Archäologischen Kommission für Niedersachsen e.V. und wurde für diese Ausgabe leicht verändert. ‚Archäologie in Niedersachsen‘ erscheint im Isensee Verlag, Oldenburg.