von Diether Ziermann
Als im Juli 1927 ein Bauer beim Dorf Apensen im Landkreis Stade während des Pflügens stolperte und das Zugpferd erschrocken anzog, gelangte die Pflugschar etwas tiefer als gewollt in den Mutterboden. Es war ein bemerkenswerter Zufall, dass der Ausrutscher an dieser Stelle passierte. Denn der Pflug beförderte Buntmetallgegenstände an die Oberfläche. Der später herbeigerufene Archäologe Willi Wegewitz suchte nach und stellte eine mit aufwendigen Beigaben versehene Urnenbestattung in einem Bronzeeimer sicher. Es fanden sich darin zerschlagenes römisches Tafelgeschirr aus Silber und Bronze, aber auch Beschläge von Gebrauchsgegenständen und germanischen Trinkhörnern und einzelne Bestandteile von Männer- und Frauentrachten. Weil aber im Umfeld des Eimers nichts weiter zu finden war, ging man Jahrzehnte lang davon aus, dass es sich um ein besonderes, einzeln gelegenes Grab handelte, das etwa um die Mitte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts angelegt worden war. Erst in den 1970er Jahren kam wieder archäologische Bewegung in den Apenser Acker. Dietrich Alsdorf, der spätere Grabungstechniker beim Landkreis Stade, meldete der damaligen Außenstelle des Instituts für Denkmalpflege in Lüneburg die Entdeckung von Urnenbeisetzungen in keramischen und auch in bronzenen Gefäßen. Im Verlauf von zwei Grabungskampagnien wurden daraufhin Teile eines Brandgräberfeldes ausgegraben. Der 1927 entdeckte Bronzeeimer war nunmehr nur eine von mehr als 400 Bestattungen. Immerhin, alle anderen Begräbnisse waren materiell sehr viel bescheidener ausgestattet. In den Urnen befanden sich außer dem Leichenbrand wenige Beigaben persönlicher Sachen des täglichen oder festtäglichen Gebrauchs, in späteren Bestattungen auch unbrauchbar gemachte Teile der Waffenausrüstung. Trotz der noch ausstehenden systematischen Auswertung der archäologischen Grabungen ist schon deutlich geworden, dass die frühesten Bestattungen des Gräberfeldes bis in die ausgehende Bronze- und frühe Eisenzeit zurückreichen. Aber erst seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. zeigt sich eine dichtere und kontinuierliche Belegung, die bis in das 2. nachchristliche Jahrhundert andauerte.
Durch die Ausgrabungen in den 70er Jahren wurden 21 Bestattungen in Bronzegefäßen geborgen. Der Erhaltungszustand ist bei einigen leider schlecht. Vor allem dünnwandige Kessel, die nicht nur aus Bronze, sondern kombiniert mit Eisen hergestellt wurden, haben die 2000 Jahre im Boden sehr zerbrechlich werden lassen. Die massiveren Bronzeeimer haben die Zeit besser überdauert.
1999 hat sich nun auf dem Acker bei Apensen neuerlich etwas getan. Sondierungen hatten zum Ziel, die gesamte Ausdehnung des Brandgräberfeldes zu erkunden. Ein Testschnitt ergab, dass die heutige Pflugtiefe bereits Ränder von Metallgefäßen erreicht hatte (Abb. 1).
Irreparable Schäden ließen sich nur durch eine gezielte Ausgrabung der bis dahin im Boden verbliebenen bronzenen Urnen vermeiden. Die acht jetzt geborgenen Gefäße stammen aus unterschiedlichen Zeiten und ergänzen das bisher aus Apensen Bekannte um zwei wichtige Aspekte. Zu dem 1927 gesicherten Bronzeeimer mit Frauenkopfattachen fand sich ein nahezu identisches Exemplar (Abb. 2c).
Von diesem noch nicht näher untersuchten Eimer liegt bisher zwar nur ein Röntgenbild vor. Es zeigt jedoch, dass lediglich Leichenbrand enthalten ist, ohne Beigaben. In dem früheren Fund – das „Fürstengrab“ von Apensen genannt – waren der Leichenbrand eines 20 – 30 Jahre alten Mannes und die oben schon genannten reichen Beigaben, die auf den Besitz von Personen beiderlei Geschlechts hindeuten. Leider ist seine genaue Fundstelle im Acker nicht mehr eindeutig festzustellen. Wäre sie dicht an dem 1999 gefundenen Pendent, so ließe sich die Vermutung, dass es sich hier um eine Doppelbestattung von Mann und Frau handelte, vielleicht erhärten. Eine Analyse des neu entdeckten Leichenbrands wird zu dieser Frage weiteres beitragen können.
Aus einem Körpergrab bei Marwedel, Gemeinde Hitzacker, das um die Mitte des 2. Jh. n. Chr. angelegt wurde, stammt ein Typ Bronzeeimer, der bisher elbeabwärts noch nicht auftrat. Nun liegt aus Apensen eine ähnliche Form vor. Der Eimer war allerdings nicht Beigabe in einem Körpergrab wie in Marwedel, sondern Urne, er diente als Behälter zur Aufnahme des Leichenbrands (Abb. 2b). Die übrigen Kessel und Eimer sowie ein steilwandiges Becken fügen sich in das bereits bekannte Bild von der Fundstelle in Apensen ein.
Keines der Gefäße ist auf germanisch besiedeltem Gebiet hergestellt worden. Es stellt sich deshalb die Frage, wie sie in unsere Gegend gelangt sind? Vom südlichen Niederelberaum gab es weder zu den Kelten, noch zum Römischen Imperium einen institutionalisierten Kontakt. Die Hintergründe und Zusammenhänge des Importes sind uns deshalb bis heute weithin unklar, auch wenn verschiedene Modelle zu dessen Erklärung geäußert wurden. Es lässt sich weder über die Art der Handelsbeziehungen eindeutig Auskunft geben, noch über die beteiligten Personen und die als Gegenwert gelieferte Tauschware. Weil im weiteren Umfeld von Elbe und Saale auch noch von anderen Fundstellen bronzene Importgefäße bekannt sind, war deren Einfuhr wohl nicht ganz unerheblich. Der tatsächliche Umfang wird noch höher gewesen sein, als der bis jetzt bekannte. Nicht alle Grablegen haben die Zeit überdauert oder sind bisher entdeckt. Auch muss davon ausgegangen werden, dass nicht alle in den Siedlungen benutzten Gefäße als Urnen den Weg einer gewollten Deponierung in den Boden genommen haben. In archäologisch untersuchten Siedlungsüberresten finden sich keine Gefäße. Das verwundert insofern nicht, als Metallfunde dort allgemein selten sind. Denn im Gegensatz zu keramischen Produkten kann das Metall durch Einschmelzen zu neuen Gegenständen verarbeitet werden.
Die Vielzahl und Verschiedenheit der importierten Gegenstände lässt im Zusammenhang mit der politischen Entwicklung in den Jahrhunderten um Christi Geburt die Überlegung zu, dass dem Erklärungsmodell für das „Handelsgeschehen“ kein einfacher, auf einen Prozess zurückgeführter Ablauf zu Grunde liegen sollte.
Die Gefäße stammen aus unterschiedlichen Orten und Regionen. Die jüngsten Apenser Bronzeeimer wurden wahrscheinlich in Mittelitalien, also dem zentralen Bereich des Römischen Reiches gefertigt. Werkstätten in Campanien produzierten in großer Stückzahl verschiedene Eimerformen, u.a. solche mit Frauenkopfattachen, wie die in Apensen gefundenen. In ihnen wurde bei den Römern der gewürzte Wein an die Speisetafel gebracht, um dann durch Siebe in die Trinkgefäße gegossen zu werden. Die Bronzebecken und Kessel mit eisernem Rand (Abb. 2a)
oder Hals und Rand stammen wahrscheinlich aus dem zwar römisch besetztem, aber keltischen Gebiet nördlich der Alpen. Die meisten Kessel weisen Rußspuren an der Wandung auf. Sie dienten als Kochtöpfe, die mit dem rundlichen Boden in der Feuerstelle standen oder an Ketten über dem Feuer hingen.
Der Herstellungszeitraum umfasst mehr als hundert Jahre, das bedeutet, dass etwa vier Generationen von Handwerkern mit ihren Traditionen und ihrem Wissen tätig waren. Die Zeitspanne, in der die Importgefäße im nördlichen Niedersachsen in den Boden gelangten, ist sehr viel länger. Die frühesten Begräbnisse können in enger Nähe zur Herstellungszeit um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts angenommen werden, von den späteren sind einige aber in der 2. Hälfte des 1. Jh. n. Chr. in Mittelitalien angefertigt und erst rund 100 Jahre später als Urnen aus dem Verkehr gezogen worden. Das lässt sich anhand der Beigaben feststellen, wie zum Beispiel durch Fibeln, deren verschiedene Typen sich datieren lassen. Der Deponierungszeitraum ist also um etwa 100 Jahre größer als der Herstellungszeitraum, das sind acht heranwachsende und vielleicht fünf bis sechs ausgelebte Generationen. In diesem Zeitraum haben sich die politischen und selbstverständlich auch die gesellschaftlichen Verhältnisse gewandelt. Zunächst gab es nur gelegentlichen Kontakt zwischen dem Niederelberaum und dem keltischen Gebiet. Zwar beteiligten sich germanische Stämme an den Auseinandersetzungen zwischen Rom und Gallien, das nördliche Niedersachsen war dadurch aber nicht betroffen. Dann kamen turbulente Zeiten. Das Römische Reich versuchte in Germanien Fuß zu fassen, was in weiten Bereichen abgewehrt wurde. Die keltischen Nachbarn gingen im Imperium auf. Danach stabilisierte sich die Grenze entlang des Rheins und es wurde wieder ruhiger, sehen wir von innergermanischen Auseinandersetzungen ab. Von schwerwiegenden Übergriffen der Germanen auf das Gebiet des Römischen Reiches ist erst wieder ab den 160er Jahren n. Chr. berichtet, einer Zeit, die für die hier behandelten Fragen aber nicht mehr von Bedeutung ist.
Eingedenk der sicherlich noch wesentlich komplexeren Verhältnisse, soll hier ein mehrdimensionales Modell in aller Kürze referiert werden: In den Jahrzehnten bis zu den römischen Eroberungsversuchen organisierten germanische Horden Raubzüge in das keltischen Nachbargebiet. Zu deren Beute gehörten auch aus Haushalten geplünderte bronzene Gefäße. Nach den gescheiterten imperialen Bestrebungen der Römer auf germanischem Gebiet, wendete sich deren politisches Interesse Pannonien zu, einer Gegend, die heute einem erweiterten Ungarn entspricht. Um den Rücken im germanischen Grenzbereich freizuhalten, kleinere Überfälle oder gar größere militärische Aktionen möglichst auszuschließen, zahlten die Römer „Bestechungsgelder“. Man kann auch sagen, dass ein Tribut entrichtet wurde. Da Geldwirtschaft aber zu der Zeit in der germanischen Gesellschaft keine Bedeutung hatte, gab man metallene Gefäße. Vermutlich ein recht gutes Geschäft, wenn unterstellt werden kann, dass die bronzenen Kessel und Eimer einen relativ geringeren Warenwert im Römischen Reich hatten, denn als Wertgegenstand bei den Germanen. Aus dieser Phase stammen die meisten Kessel und Eimer. Mit dem Ausbau der Grenzbefestigung entlang des Rheins, hatten es die Römer nicht mehr nötig das Unterlassen von Kriegshandlungen zu erkaufen. Der Strom der Bronzegefäße versiegte. Die jetzt nur noch in geringerer Menge auftretenden Eimer, die ursprünglich als Tafelgeschirr dienten, könnten nun durch einen Warenaustausch ihren Weg an die Niederelbe gefunden haben.
Die acht 1999 geborgenen Bronzegefäße sind während der Bergung zu ihrem Schutz sofort eingegipst worden. Jetzt folgende Arbeitsschritte werden von Restauratoren durchgeführt. Dazu gehört auch die Dokumentation des Inhalts der Urnen und Beobachtungen, wie die einzelnen Gegenstände in dem Gefäß liegen. Dabei ist es hilfreich, durch Röntgenbilder oder, eindrucksvoller noch, durch computertomographische (CT) Aufnahmen einen Eindruck von dem zu gewinnen, was, wie, wo sich befindet (Abb. 3).
Attachen: Der Begriff bezeichnet am Gefäßkörper angelötete oder genietete Beschläge zu Aufnahme eines Henkel. Häufig sind Attachen ornamental ausgearbeitet, zum Beispiel in Form von Delphinen, Blättern, Pflanzen und Figuren.
Literatur:
Laux, F.: Metallene Urnen und römisches Tafelgeschirr. In: Rom an der Niederelbe. (=Veröffentlichungen des Hamburger Museums für Archäologie und die Geschichte Harburgs, Helms-Museum; Nr. 74). Neumünster 1995, 81-95.
Redlich, C.: Politische und wirtschaftliche Bedeutung der Bronzegefäße an Unterelbe und Saale. In: Studien zur Sachsenforschung 2. Hildesheim 1980, 329-374.
Stief, M.: Untersuchungen auf einem Urnenfriedhof der vorrömischen Eisenzeit und älteren römischen Kaiserzeit in Apensen, Ldkr. Stade. In: Ausgrabungen in Niedersachsen. Archäologische Denkmalpflege 1979-1984. Stuttgart 1985, 203-205.
Wegewitz, W.: Das Abenteuer der Archäologie. Erlebte Vorgeschichte. Archäologische Untersuchungen und Funde im Gebiet der Niederelbe vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. (=Veröffentlichungen der urgeschichtlichen Sammlung des Landesmuseums zu Hannover Band 45). Oldenburg, 1994.
Abb. 1
Apensen FStNr. 1. Das dunkle Band im helleren Boden zeigt eine Pflugspur. Der Rand des Gefäßes wurde bereits aufgerissen.
Abb. 2
Apensen FStNr. 1. a Kessel mit eisernem Rand, an der Wandung befinden sich deutliche Rußspuren; b „Östlandeimer“, ein Typ, der bisher aus Apensen nicht bekannt war; c Bronzeeimer mit Frauenkopfattachen und einem Henkel, dessen umgebogene Enden als Tierköpfe ausgeformt sind.
Abb. 3
Apensen FStNr. 1. Das CT dieses Gefäßes entstand bei Volkswagen-Nutzfahrzeuge in Hannover. Mit der Einstellung „Metall“ wird nicht nur die Lage der Metallbeigaben deutlich, sondern auch die genietete Reparatur des Bodens ist eindrucksvoll zu sehen.