Von Torsten Lüdecke
Es war an einem beschaulichen Sommertag im Jahr 1984, – genau am 29.August – als der Stader Stadtarchäologie eine kleine Sensation gemeldet wurde: ein Münzschatzfund. Es war der erste Fund dieser Art, der bis dahin aus der Stader Altstadt bekannt wurde, und – so kann hinzugefügt werden – er ist bis heute der einzige geblieben.
Die Nachricht kam aus dem Haus Fischmarkt 9 (Abb 1). Wie in anderen Fällen auch war es eine Baumaßnahme, die zur Entdeckung geführt hatte. Als bei der Sanierung des Gebäudes ein Teil der Kellersohle tiefer gelegt wurde, war man im äußersten Winkel einer Kellerecke auf ein Keramikgefäß mit verklumpten Geldstücken gestoßen (Abb2).
Leider hatte die Baufirma die Entdeckung erst gemeldet, nachdem sie die Ausschachtung zu Ende geführt hatte, doch konnten die Bauarbeiter die Fundsituation überzeugend plausibel machen, so dass eine nachträgliche Dokumentation möglich war (Abb. 3).
Der Geldtopf stand jeweils genau einen Fuß von jeder Wand der Ecke entfernt, eine typische Situation für die Vergrabung von Schätzen, bei der es ja auch um die Möglichkeit der leichten Wiederauffindung des Objektes durch den Schatzeigentümer geht. Vergraben worden war das Gefäß offensichtlich von einem mittelalterlichen Backsteinfußboden aus, der im Profil der Ausschachtung unter dem heutigen Betonfußboden noch im Anschnitt sichtbar war. Unklar blieb nur, in welcher Tiefe der Topf gestanden hatte: ungefähr einen halben Meter unter dem Fußboden, wie die Bauarbeiter zu erinnern meinten, oder aber wesentlich höher. Wir werden noch sehen, dass die Beantwortung dieser Frage eine gewisse Bedeutung haben kann.
Das überraschend kleine Geldgefäß – ein Henkelgrapen von rund 10cm Durchmesser – enthielt insgesamt 87 Silbermünzen (Abb. 4). Der obere Teil des Grapens war beschädigt, offensichtlich durch die Ausschachtung, wie die frischen Bruchkanten zeigten; und dabei war wahrscheinlich auch ein kleiner Deckel den man als Verschluss vermuten kann, mit verloren gegangen. Reste von Textilgewebe, die durch das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz als Leinen identifiziert werden konnten, ließen den Schluss auf ein kleines Säckchen zu, in dem sich die Geldstücke befunden hatten.
Wie die Bearbeitung durch Reiner Cunz ergab, handelte es sich um mittelalterliche Schillinge und Sechslinge, und zwar ausschließlich Vertragsprägungen von vier Städten des so genannten „Wendischen Münzvereins“. Diese Städte hatten sich unter der Führung von Lübeck im 14.Jahrhundert auf Prägungen mit einheitlichem Mindestsilbergehalt festgelegt, um eine stabile und verlässliche Währung zu schaffen. 28 der Münzen stammten aus Hamburg, 19 aus Lübeck, 22 aus Lüneburg und 18 aus Wismar (Abb. 6). Prägungen aus Stade selbst, das nicht zum Münzverein gehörte, fehlen bezeichnenderweise. Als Zeitpunkt der Vergrabung ließ sich nach der Zusammensetzung des Fundes etwa das Jahr 1450 erschließen.
Die Summe belief sich auf 5 Lübische Mark. Eine Umrechnung in unsere heutige Währung ist immer problematisch, sei aber trotzdem versucht: etwa 1.900 Euro. Das heißt, dass wir hier keinen der ganz großen Schatzfunde vor uns haben, aber doch eine respektable Summe.
Immerhin ist das Fehlen von Goldmünzen, die es damals schon gab, z.B. seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, die englischen Nobel. Offensichtlich verfügte die Person, die den Geldtopf im Keller vergrub, zu diesem Zeitpunkt über keine Goldmünzen und vergrub stattdessen das Wertvollste und Wertbeständigste, was ihr greifbar war, eben die Schillinge des Wendischen Münzvereins.
Bei jedem Schatzfund stellen sich natürlich vor allem zwei Fragen: Wer könnte den Schatz versteckt haben? Und: Was war der Grund? Es liegt nahe, dass es der damalige Eigentümer des Hauses gewesen ist, der das Geld in seinem Keller vergraben hat. Leider sind die schriftlichen Nachrichten zur Eigentümergeschichte des Gebäudes Fischmarkt 9 für das Mittelalter noch nicht aufgearbeitet. Angaben liegen bisher nur für die Zeit seit dem 17. Jahrhundert vor. So wissen wir, dass das Haus Ende des 17.Jahrhunderts im Eigentum eines Seidenkrämers namens Hinrich Stuer war, davor vielleicht auch schon einem gleichnamigen Vorfahren gehörte, der für 1676 ebenfalls als Seidenkrämer nachzuweisen ist. Die Seidenkrämer – die Seidenstoff-Händler – waren neben den Tuchhändlern die kapitalkräftigste Stader Berufsgruppe. Dass für das Haus Fischmarkt 9 auch für die vorausgegangenen Jahrhunderte und für 1450 ähnlich vermögende Eigentümer anzunehmen sind, können wir natürlich nur mutmaßen.
Wesentlich weiter kommen wir aber, wie sich zeigen wird, bei der Beantwortung der zweiten Frage: Was war der Grund für das Verstecken der Münzen? Das bekannteste Motiv für das Verbergen von Geld und anderen Wertsachen war durch alle Zeiten die Furcht vor einem drohenden Kriegsereignis und den damit verbundenen Gefahren der Plünderung. Es lag nahe, auch im vorliegenden Fall etwas Entsprechendes zu vermuten. Doch die Durchsicht der Stadtchroniken zu diesem Punkt blieb trotz intensiver Suche negativ: Für Stade lassen sich für die Jahrzehnte um die Mitte des 15.Jahrhunderts weder kriegerische Bedrohungen feststellen noch etwaige innerstädtische Unruhen.
Wir müssen also nach einer anderen Erklärung für die Vergrabung des Geldtopfs im Haus Fischmarkt 9 suchen. Und dies dürfte letztlich die Erklärung sein, die anscheinend auf einen wesentlichen Teil der mittelalterlichen Geldvergrabungen überhaupt zutrifft: Neben der in Abständen immer wieder einmal auftretenden akuten Panik bei plötzlich drohenden Kriegsereignissen war da noch die ganz unspektakuläre tägliche Dauersorge mittelalterlicher Geldeigentümer, ihr überschüssiges Kapital einigermaßen sicher vor Dieben aufzubewahren. Wo bringe ich, mittelfristig oder kurzfristig, das Geld unter, das ich gerade nicht benötige: Wir können uns heute nur noch schwer vorstellen, in welchem Maße mittelalterliche Geschäftsleute und Geldbesitzer von dieser ständigen Überlegung gepeinigt wurden.Erst mit dein Aufkommen der ersten Girobanken, bei denen man sein Geld auf ein Konto einzahlen konnte – im nördlichen Deutschland etwa seit Begindes 17.Jahrhunderts – endete diese Dauersorge, über die wir durch zahlreiche Berichte und auch Tagebücher von Kaufleuten unterrichtet sind. Bis dahin mul3te man sich anders behelfen. Eine sehr beschwerliche Lösung des Problems war es, das gesamte Kapital ständig am Körper zu tragen, z.B. mit Hilfe von Hohlgürteln. Einen anderen Ausweg bot die Benutzung von Geldtruhen, die man mit immer aufwendigeren Mechanismen und versteckten Schlössern zu sichern suchte. Doch auch die Truhen gewährten letztlich nur Sicherheit, wenn man als Standort für sie einen dauernd bewachten Raum hatte, wie die Fürsten sie mit ihren Schatzkammern und die Magistrate der Städte mit den Tresen in den Rathäusern besaßen. So blieb für viele Bürger lange Zeit eben nur der alte Weg des Geldversteckens.
Dabei waren sie sehr erfindungsreich. Obwohl die bekannt gewordenen mittelalterlichen Schatzfunde insgesamt nur wenig zahlreich sind, lassen sie eine erstaunliche Skala von Versteckvarianten erkennen: etwa in größeren Möbelstücken, unter den Fußbodendielen, in verkleideten Wandnischen und anderen Mauerhohlräumen, in den Zwickeln von Gewölben, in Einschüben zwischen zwei Stockwerken, auch im Stall und anderen Nebengebäuden oder im Garten, gern unter Baumwurzeln. Am beliebtesten scheint aber das Versteck im Keller unter dem Fußboden nach der Stader Variante gewesen zu sein. Dabei gab es anscheinend auch zwei unterschiedliche Formen: eine Vergrabung auf etwas längere Sicht und ein Versteck mit der Möglichkeit eines kurzfristigen Zugriffs oder auch einer wiederholten Geldentnahme.Für die Rekonstruktion des Stader Depots sind beide Möglichkeiten denkbar, abhängig jeweils von der Vergrabungstiefe des Gefäßes, die nicht geklärt ist (Abb. 5).
Bleibt noch die Frage, warum das Geldversteck im Haus Fischmarkt 9 von seinem Besitzer nicht plangemäß wieder geräumt worden ist. Wie bei allen Schatzfunden ist wohl als das Wahrscheinlichste zu vermuten, dass der Geldeigentümer durch seinen Tod daran gehindert wurde.
Versuchen wir uns abschließend ein wenig in statistischen Überlegungen. Die Auffindung von Schatzfunden ist, wie gesagt, nicht gerade häufig, man kann auch sagen, sie ist ausgesprochen selten. Im Bundesland Hessen z. B. ist aufgrund der dortigen Fundzahlen berechnet worden, dass auf 50 Quadratkilometer ein Schatz kommt. Selbst wenn man in Anschlag bringt, dass noch einmal doppelt so viele Depots bisher unentdeckt in der Erde schlummern könnten, und einen Schatz pro etwa 15 Quadratkilometer rechnet, bleibt die Zahl doch überschaubar.
Kann man aus der Seltenheit im Boden erhaltener Schatzdepots nun den Schluss ziehen, das die Menschen entsprechend selten Schätze vergraben haben? Das wäre, wie wohl deutlich geworden ist, ein Fehlschluss Wir müssen vielmehr davon ausgehen, das es im Mittelalter und noch bis in die späte Neuzeit hinein für die Menschen geradezu alltägliche Praxis war, mittelfristig und kurzfristig nicht benötigtes Kapital in Verstecken zu deponieren. Die Zahl der auf diese Weise angelegten und dann über kurz oder lang wie-der geräumten Geldverstecke dürfte die Zahl der heute noch im Boden erhaltenen bzw. inzwischen aufgedeckten Gelddepots um ein Vielfaches übertreffen. Denn halten wir uns vor Augen: Bei den heute entdeckten Schatzfunden handelt es sich nur um diejenigen Depots, die von ihren Anlegern – zumeist wohl wegen ihres plötzlichen Todes – nicht mehr geräumt werden konnten.
So kommen wir wieder auf den Anfang des Artikels zurück: den Schatzfund als Sensation. Ein Schatz im Haus war eigentlich das Normale. Das Geldverstecken war eine fast geschäftsmäßige Angelegenheit, vergleichbar mit einer heutigen Einzahlung auf das Girokonto. Das ändert freilich nichts daran, dass es schon eine Sensation ist, wenn man heute einen Schatz findet, eins von den wenigen Depots, deren Eigentümer nicht mehr zum ‚Abheben‘ gekommen sind.
Dieser Artikel erschien auch in ‚Archäologie in Niedersachsen‘, Band 7, 2004, Hrsg. Von der Archäologischen Kommission in Niedersachsen. ‚Archäologie in Niedersachsen‘ erscheint im Isensee Verlag, Oldenburg.