Stader Bier

Von Frank Albers

Stader Bier im Mittelalter und der frühen Neuzeit

Im Mittelalter und der frühen Neuzeit war Bier vor allem in den Städten ein allgegenwärtiges Nahrungs- und Genussmittel. Weil Wasser in den Städten häufig ungenießbar und keimverseucht war, trank man lieber Bier. Durch das Aufkochen des Suds und die keimtötende Wertung des Hopfens war Bier weitgehend unbelastet von Keimen. Darüber hinaus war Bier nahrhaft und sättigend und deshalb ein fester Bestandteil der alltäglichen Ernährung. Bier gab es deshalb in allen Varianten und Zubereitungsformen. Als schwachprozentiges Alltagsbier, das auch als Biersuppe des Morgens gelöffelt wurde, bis hin zum qualitativ hochwertigen Starkbier, das z.B. bei den rituellen Trinkgelagen der Zünfte in großen Mengen konsumiert wurde.

Die norddeutschen Küstenstädte brauten anscheinend im Mittelalter besonders schmackhaftes Bier und exportierten es in den gesamten nordeuropäischen Raum, Skandinavien und die Beneluxländer. Auch Stade hatte mit dem ‚Stader Kater‘ seinen Anteil an diesem äußerst lukrativen Geschäft. Neben Getreide und Fisch war das Bier Haupthandelsgut der Hanse.

Abb1: Vom alten Stader Hafen wurde Bier in die Niederlande und nach Dänemark verschifft

Das Braugewerbe gehörte in früherer Zeit zu den angesehensten und reichsten in Stade. Eine Steuererhebung um 1700 belegt dies. Auch wenn um 1700 die große Zeit des Bierexportes für Stade lange vorbei, lag der Wert der Brauhäuser zwischen 800 und 1500 Mark lübisch deutlich über dem Mittelwert (794) der Gebäude in Stade. Zwei Brauhäuser in der Bungenstraße lagen mit jeweils 2000 Ml im Spitzensegment und konnten damit mit den Häusern der wohlhabenden Kaufleute konkurrieren. (1) Das Recht zu brauen war auch in Stade, wie in den meisten norddeutschen Städten ein dingliches Recht, das dem Besitzer einer bestimmten Immobilie zufiel.

Noch um 1600 gab es in Stade 89 Braugerechtigkeiten, die damals einen Kapitalwert von 89.000 Talern hatten. Die Braugerechtigkeit konnte jedoch später auch als eigenständiges Recht veräußert werden. Die Inhaber dieser Braugerechtigkeiten waren zumeist Kaufleute, die das Brauen durch Leiharbeiter (Schopenbrauer (2) und Brauerknechte) unter Mitwirkung ihres Hauspersonals durchführen ließen. In Stade war zudem geregelt, dass jeder Brauerherr mindestens einen Brauknecht fest anstellen musste.

Abb. 2: Räumliche Verteilung der Brauer in Stade. Grafik aus Stefan Kroll, Stade um 1700, Stade 1992

Die Brauer bildeten eine eigene Gilde und waren in vier, später in drei Quartiere eingeteilt und hatten nach einer bestimmten Reihenfolge (Reihebrauen) ihr Gewerbe auszuüben. Um 1700 waren die meisten Brauer und Mälzer in Stade im Bereich der Bungen- und Bäckerstraße und dem Wasser West angesiedelt. Die Konzentration an diesen Standorten ist der Nähe zum Wasser geschuldet, da das Brauwasser in aller Regel Oberflächenwasser war, das den Flüssen – hier der Schwinge – entnommen wurde.

Abb. 3: Hier am Wasser-West in Stade waren einige der Brauer beheimatet

Aufgrund der hohen Bedeutung des Brauens für die Versorgung der Stadt wurden Brauordnungen durch die Stadt Stade erlassen. Die älteste uns erhaltene Brauordnung stammt aus dem Jahre 1598. Sie regelt nicht nur den Brauprozess sondern auch die Distribution des Bieres. Um die Braumenge zu kontrollieren, wurden von der Stadt Brauerlaubnisse sogenannte Orloffe erteilt. Darüber hinaus legte der Rat die Preise für Bier fest, regelte die Zahlungsbedingungen zwischen Brauer und Krüger und erlies Bedingungen für den Ausschank (Am Sonntag kein Ausschank vor und während der Gottesdienstzeit!). Um die Bierqualität zu erhalten wurde auf dem Rathaus in der sogenannten Probebude der Geschmack des Bieres überprüft (dies war sicherlich ein attraktiver und begehrter Job!). Die Stadt erhob von jeder Tonne Bier 4 Schilling Akzise als Konsumsteuer.

Knechthausen in der Bungenstraße 25 war der Versammlungsort der Stade Brauerknechte. Eines der ätesten Häuser der Stadt. Es beherbigt heute ein vorzügliches Restaurant.

Abb. 4: zeitgenössische Darstellung des Brauwesens. Holzschnitt von 1568. Von Jost Amman (1539-1591)

Nach unserem heutigen wirtschaftspolitischen Verständnis dürfte die starke Kontrolle der Brauwirtschaft den Niedergang des norddeutschen Braugewerbes mit verursacht haben. In dieser ‚überregulierten‘ Umgebung waren Innovationen, die den Fortbestand des Gewerbes gesichert hätten, nicht durchsetzbar. Durch die Vergabe von Brauorloffen, dem Prinzip des Reihebrauens, sowie dem Umstand, dass nur der brauen durfte, der im Besitz eines Braurechts war, wurde die Produktionsmenge und der Kreis der Produzenten stark reguliert. Im Verbund mit genauen Vorgaben, wie der Brau zu erfolgen hatte, bis hin zur Kontrolle der Produktionsmittel (Sudpfanne (3) ) konnten sich innovative Produktionsbedingungen, die dazu geeignet gewesen wären, die Kosten zu senken oder die Qualität zu heben nicht durchsetzen. So wurde bis ins 19.Jahrhundert weiter nach alter Sitte gebraut. Die Bedeutung des Braugewerbes für Stade sank jedoch immer weiter ab. Dies lag jedoch auch an einer Veränderung des Konsumverhaltens und an neuer Konkurrenz auf dem Getränkemarkt.

Seit dem Dreißigjährigen Krieg verbreitete sich das Branntweintrinken. Hierbei steht der Begriff ‚Branntwein‘ für alle möglichen Arten von ‚Schnaps‘, der in unserer Region hauptsächlich aus Korn gebrannt wurde. Der Branntwein löste Bier als Genussmittel in weiten Teilen ab. Insbesondere die Unterschichten neigten zu exzessiven Konsum. Der, mit dem Schnaps deutlich schneller und nachhaltiger herbeigeführte Rausch, ließ sie ihre prekäre Lebenssituation vergessen.

Abb. 5: Dorffest um 1684 vom niederländischen Maler Cornelius Dusart (1660-1704). Exzessives Feiern und Trinken war ein beliebtes Motviv der zeitgenössischen Kunst.

Abb. 6: Wirtshausszene Ende des 17.Jhd. von Cornelius Dusart

Neben dem Schnaps wurde in den wohlhabenden Schichten ab dem 18.Jahrhundert zunehmend Kaffee konsumiert. Kaffee galt als Getränk der intellektuellen und leistungsbewußten Schichten und entsprach im Hinblick auf die ihm zugeschriebenen Eigenschaften dem Geist der Aufklärung und dem protestantischen Arbeitsethos (4). Der erste Kaffeeschenker, Johann Dammann aus Altona, eröffnete um 1713 sein Geschäft am Fischmarkt 2 in Stade (5). Echter Bohnenkaffee war jedoch bis Mitte des 19.Jahrhundert verhältnismäßig teuer und deshalb vorwiegend im wohlhabenden Bürgertum verbreitet. Nicht so wohlhabende Bevölkerungsschichten tranken Kaffee nur zu besonderen Anlässen oder konsumierten Ersatzkaffee, wie Malzkaffee. Mit der Ausweitung des Kaffeeanbaus in Brasilien und Indonesien und dem kostengünstigeren Transport dieser ‚Kolonialwaren‘ mit dem Dampfschiff etablierte sich der Kaffekonsum in allen Bevölkerungsschichten. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts gehörte der Kaffee zum alltäglichen Konsum.

Abb. 7: In solchen Krankannen, auch „Dröppelminna“ genannt, wurde im 18. und 19 Jahrhundert Kaffee serviert

Seit dem 18 Jahrhundert entstanden – häufig unter Aufsicht adeliger Grundbesitzer – immer mehr Landbrauereien, die über den eigenen Bedarf hinaus für den lokalen Markt brauten und damit den städtischen Brauereien ein lukratives Absatzfeld entzogen. Während im Mittelalter das Brauen ein typisch städtisches Gewerbe war, traten nun immer häufiger die Landbrauereien hinzu, die aufgrund des unmittelbaren Zugangs zu den Rohstoffen (Getreide, Wasser, Hopfen) und dem Fehlen der städtischen Regulierungen deutlich preiswerter produzieren konnten. Die Städte wehrten sich zwar gegen diese Konkurrenz, konnten sich in der Regel aber nicht durchsetzen (6).
Für Stade kam noch erschwerend hinzu, dass sich ‚Stader Bier‘ offensichtlich auf Dauer nicht als Qualitätsbegriff und Marke auf dem Biermarkt etablieren konnte. In anderen Städten, wie Lüneburg, Braunschweig oder Einbeck hatte sich eine professionelle Brauwirtschaft herausgebildet, die in der Lage war, Bier von gleichbleibender hoher Qualität zu brauen (7). Diejenigen, die es sich leisten konnten, konsumierten deshalb auch in Stade das Einbecker ‚Bockbier‘, die Braunschweiger ‚Mumme‘ oder Bier aus Lüneburg. Der Rat versuchte zwar den Konsum auswärtiger Biere zu reglementieren, dies gelang jedoch nur begrenzt – zumal auch die vermögenden Ratsherren gerne dieses qualitätsvolle Bier tranken.

Abb. 8: „Braunschweiger Mumme“ war um 1900 auch in USA ein Begriff. Quelle: Wikipedia

In diesem allgemeinen wirtschaftlichen Umfeld beschleunigten in Stade einige lokale Ereignisse den Niedergang des heimischen Braugewerbes. Der große Stadtbrand von 1659 und die Belagerung von 1712 gaben dem Gewerbe den Todesstoß. Im 18.Jahrhundert unternahm die Stadt einige Versuche, die rapide gesunkenen Qualität und Quantität der Bierproduktion in Stade entgegen zu wirken. So hob der Rat 1726 das wenig effiziente und verwaltungsaufwendige Reihebrauen auf und nahm 1738 zur Hebung der selbst das Brauwesen in die Hand. Um weiterhin ein hauswirtschaftliches Brauen zu ermöglichen und um die Qualität des so gebauten Bieres kontrollieren zu können, baute das alte Badehaus an der Stavenbrücke am Pottwärder als öffent¬liches Brauhaus um und berief einen auswärtigen Braumeister als Aufseher. Dieser Versuch einer Reanimation des hauswirtschaftlichen Brauwesens erwies sich jedoch als Fehlschlag. Vermutlich standen die hohen Kosten zur Unterhaltung des Brauhauses und zur Bezahlung des Braumeisters in keinem Verhältnis zu der Nutzung.
Als Konsequenz hieraus kaufte der Rat zwischen 1752 und 1762 sämtliche 89 Gerechtigkeiten für 9000 Taler auf, verkaufte 1759 das Brauhaus wieder und gab das Braugewerbe gegen eine geringe Akzise frei (8).

Abb. 9: Stade, Altes Rathaus, Quelle: Autor

Wie zuvor beschrieben erlebte das Brauwesen bis zur Mitte des 19.Jahrhunderts einen fortgesetzten Niedergang. Verantwortlich hierfür waren ein verändertes Konsumverhalten und die schlechte Qualität der Biere, die vornehmlich am Festhalten an den althergebrachten Wirtschaftsverfassung und den veralteten Produktionsmethoden verursacht war.

Konsumverhalten im 18. und 19.Jahrhundert

Im 18. und 19. Jahrhundert kam es zu einem deutlichen Bevölkerungsanstieg in Deutschland. In der Elbe-Weser-Region (die alten Herzogtümer Bremen und Verden, ohne Land Hadeln) stieg die Bevölkerung zwischen 1740 und 1823 von 140.000 auf 207.000 Einwohner. Das ist ein Anstieg um 48% (9). Landwirtschaft und Handwerk waren aufgrund ihrer rückständigen Produktionsmethoden nicht in der Lage diese Menschen mit ausreichend Arbeit zu versorgen und sie in die ständische Gesellschaft des Ancien Regimes zu integrieren. In der Elbe-Weser-Region konnte zwar durch die Urbarmachung der Moore einem Teil dieser landlosen Bevölkerung eine Lebensperspektive eröffnet werden, diese Maßnahmen reichten aber nicht aus, um die vielen zusätzlichen Menschen zu versorgen. Eine Industrie, die hätte für Beschäftigung sorgen können, war in unserer Region noch nicht entstanden. Die Zugehörigkeit zum Königreich Hannover erwies sich zusätzlich als Modernisierungsbremse. Im Gegensatz zu Preußen, das eine selbstbewusste und moderne Industriepolitik betrieb, wurde das Königreich Hannover aufgrund seiner Verbindung zu England primär als Absatzmarkt für englische Industrieprodukte betrachtet. Ansätze zum Aufbau einer einheimischen Industrie wurden nur zaghaft unterstützt (10).

Abb. 10: Die Herzogtümer Bremen und Verden um 1655. Ab 1714 gehörten sie zum Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg (Kurhannover), welches 1814 zum Königreich Hannover avancierte

Dies führte zu einem deutlichen Anstieg des Pauperismus. Auf dem Lande wuchsen die unterbäuerlichen Schichten (Tagelöhner, Häuslinge, Käthner), in den Städten erhöhte sich die Zahl der Gelegenheitsarbeiter, Hausierer oder Menschen, die sich mit Detailverkauf mehr schlecht als recht durchs Leben schlugen. Während Städte wie Hamburg und Bremen noch eine gewisse wirtschaftliche Dynamik entfalteten, stagnierte die Wirtschaft in den Städten der Elbe-Weser-Region. Die hierdurch herbeigeführte Desintegration dieser Menschen in die Gesellschaft schuf auf dem Lande und in den Städten ein spezielles plebisches Milieu, dass sich auch durch neue Formen des Alkoholgenusses auszeichnete. Nicht mehr alleine die von der Dorfgemeinschaft oder den Zünften und Bruderschaften nach alter Tradition vorgegeben Trinkanlässe und Trinksitten bestimmten das Trinkverhalten dieser Schichten, sondern eine neue an den individuellen Bedürfnissen des Augenblicks orientierte Trinkkultur, die häufig in Alkoholexzesse ausartete. Diese plebejische Kultur war geprägt von exzessiver Verausgabung, von öffentlich spektakulären Auftritten und vom sozialen Austausch in Festen, Spielen und nicht zuletzt im Trinken (11).

Das Getränk dieser Unterschichten war der Branntwein. Branntwein ist erst im hohen Mittelalter nach Deutschland gelangt und wurde lange Zeit nur als Medizin konsumiert (12). Im 17. Jahrhundert etablierte sich der Branntwein als Genussmittel zunächst unter Landsknechten und Seeleuten. Ab dem 17.Jahrhundert entwickelte sich der Branntwein zum Volksgetränk und verdrängte das Bier. Zunächst wurde Branntwein aus dem Trester der Trauben hergestellt und in unsere Region importiert. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts setzte sich das Branntweinbrennen aus Getreide durch (‚Korn oder Kümmel‘). Mit dem Aufkommen der Kartoffel Anfang des 19.Jahrunderts auch der Kartoffelschnaps. In den Städten und auf dem Lande entstanden massenhaft Schnapsbrennereien, in der Regel Kleinbetriebe, die den Schnaps destillierten (13).

In Stade gab es 1787 22 Branntweinbrennereien. In den 40er Jahren des 18.Jahrhunderts sollen es noch 40 % mehr gewesen sein, Der Branntwein wurde in kleinen Hökerläden oder Kellerkneipen verkauft (14). Die Ausstattung dieser Kneipen war spartanisch und bestand lediglich aus einem Tresen, der Toonbank, die Gäste tranken im Stehen. Um 1845 gab es in Hamburg ca. 2000 solcher Schänken. Dies bedeutete, dass auf 60 Einwohner ein Wirtshaus kam (15). Wendet man diese Zahlen auf Stade an, muss es zu dieser Zeit bei einer Bevölkerung von 6000 ca. 100 Kneipen und Schenken in Stade gegeben haben. Branntwein wurde aber nicht nur in den Kneipen getrunken, sondern auch während der Arbeit. Da Branntwein durch seinen im Vergleich zum Bier deutlich höheren Alkoholgehalt viel schneller zu Kopfe schlägt, kam es häufiger zu Alkoholexzessen. Schlägereien oder Arbeitsunfälle aufgrund von Alkoholkonsum häuften sich. Die Obrigkeit versuchte dagegen – in der Regel erfolglos – mit Verboten vorzugehen. Darüber hinaus etablierte sich eine Antialkohol-Bewegung. Zumeist bürgerliche schlossen sich in sogenannten Mäßigungsvereinen zusammen und propagierten Abstinenz, weil sie die Ursache der Armut im Alkoholkonsum begründet sahen. Von der Unterschicht wurden diese Vereine zumeist mit Hohn und Spott bedacht. Aufgrund ihrer Unfähigkeit sich in die Lebenswelt der Armen hinein zu versetzen, blieb ihr Erfolg gering. In Hamburg wurden am 18.Januar 1841 eine Veranstaltung des ‚Hamburgischen Vereins gegen das Branntweintrinken‘ im alten Johanneum durch eine große Menschenmenge gesprengt. Der ‚Pöbel‘ wie es in den zeitgenössischen Berichten hieß, störte die Redner durch Rufen und Pfeifen und demolierten anschließend das Schulgebäude (16).

Erst die langsame Veränderung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Unterschichten im 19. Jahrhundert führten zur Abkehr vom übermäßigen Spirituosenkonsum und eröffnete dem Bier neue Absatzchancen. Das Entstehen moderner Gewerbebetriebe, die unter Einsatz von Maschinen produzierte, schuf eine Arbeiterklasse, die ein verändertes Sozialverhalten und auch veränderte Trinksitten prägte. Insbesondere bei den gut ausgebildeten Facharbeitern ließ der rationalisierte Arbeitsalltag im Takt der Maschinen übermäßigen Alkoholkonsum nicht mehr zu. Die schrittweise Verbesserung der Lebensbedingungen, vor allem im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts beendete den exzessiven Alkoholkonsum. Man hatte wieder etwas zu verlieren, was man nicht durch Alkohol aufs Spiel setzen wollte.

 

Abb. 11: Die Harkortsche Fabrik auf Burg Wetter an der Ruhr. Alfred Rethel um 1834. Friedrich Harkort betrieb hier eine der ersten Maschinenbaufabriken des Ruhrgebiets. Schönes Sinnbild für den Aufstieg der Industrie auf den Ruinen des Mittelalters

Die Arbeiterschaft wendete sich wieder dem Bier zu. Der Branntweinkonsum wurde in zeitgenössischen Quellen häufig auch mit der schlechten Qualität der Biere begründet. Die Qualität der nach herkömmlicher Art gebrauten obergährigen Braunbiere, war im Laufe der Jahrhunderte offensichtlich immer schlechter geworden. Ab Mitte der 60er Jahre kamen auch in Norddeutschland die hellen, untergährigen ‚bayerischen‘ Biere auf dem Markt (17). In Verbindung mit der Zufuhr von Kohlensäure entwickelten sich diese Biere zum ‚Renner‘ unter der Arbeiterschaft. Der Bierkonsum stieg wieder deutlich an. Die Erfindung der Bierflasche mit Bügelverschluss verstärkte diese Tendenz, weil mit der wiederverschließbaren Bierflasche, das Bier auch einfach mit zur Arbeit genommen werden konnte.

Auf einmal war das „neue“ Bier wieder ‚hipp‘. Intellektuelle, Künstler, Handwerksgesellen und die Facharbeiterschaft verlangten nach dem Gerstensaft und verliehen ihm damit ein progressives Image. Wegen seiner Verbreitung in der klassenbewußten, aufgeklärten Arbeiterschaft wurde es auch als „sozialdemokratischer Saft“ bezeichnet (18).

Mit der erneuten Hinwendung zum Biertrinken entstand auch eine neue Kneipenkultur, die in starkem Maße vom Milieu der Arbeiterschaft geprägt wurden. Es entstanden die sogenannten Stamm- und Eckkneipen, in denen sich die männlichen Arbeiter am Abend und am Wochenende trafen. Diese Kneipen waren aufgrund der immer noch beengten Wohnverhältnisse die ‚gute Stube‘ der Arbeiterschaft, in der man sich traf, um soziale Kontakte zu pflegen, Karten zu spielen oder über Politik zu diskutieren. Die Arbeiterbewegung hatte hier ihren sozialen Raum. Häufig besaßen diese Kneipen Hinterzimmer, sogenannte ‚Clubräume‘ in denen politische Versammlungen der Arbeiterbewegung abgehalten wurden. Zur Zeit der Sozialistengesetze, als die Betätigung für die sozialdemokratische Partei verboten war, konnte sich die Arbeiterbewegung unter dem Deckmantel der ‚Geselligkeit‘ weiterhin in den Kneipen treffen und sich organisieren. Im Gegensatz zu den spartanisch eingerichteten Kellerkneipen der Branntweinzeit, zeichneten sich dieser Kneipen durch eine liebevolle Einrichtung aus, die das Ambiente des bürgerlichen Wohnzimmers nachahmte. Beherrscht wurde der Raum durch ein Bufett, in dem die Biergläser und Getränkeflschen ausgestellt waren. Vor dem Bufett befand sich der Tresen mit den Zapfhähnen und einer Spülanlage. Hier konnten auch die Stammgäste auf Hockern platznehmen. Der übrige Raum war mit Tischen und Stühlen möbliert (19).

Abb. 12: Arbeitergastätte am Hamburger Hafen, An den Vorsetzen, 1899. Johann Hamman (1859 – 1935) „Arbeit im Hafen. Hamburg 1889 – 1911.

Bis gegen Ende des 18.Jhd. verblieben in Stade nur einige, wenige Kleinbetriebe – 1786 waren es sechs mit einer Gesamtproduktion von 414 Tonnen – , denen es schwerfiel, sich gegen den Import aus anderen Städten zu behaupten. Um zu überleben, wurden i.d.R. neben dem Brauen weitere Gewerbe, wie die Schnapsbrennerei und der Bierausschank in einer eigenen Gaststätte ausgeübt. Daneben versuchten sie über wettbewerbsverhindernde ordnungspolitische Maßnahmen, die Konkurrenz von außerhalb zu behindern. 1836 dräng­ten die Mitglieder der Stader Bierbrauergilde auf die Einhaltung ihrer in der Polizei­ordnung abgedruckten Privilegien, wonach »im Umfange der Kirchspiele Twielenfleth, Hollern und Bützfleth sowie im Bezirk der Klostermeierei Stade keine Brauerei und keine Malzdarre etablirt werden darf und alle Krüger verpflichtet sind, mit Ausschluß des Hamburger Biers, alles Bier von der Gilde zu nehmen«. Die Maßnahmen blieb aller­dings schon jedoch ohne Erfolg (20)

Um 1830 gab es in Stade nur noch 4 Brauereibetriebe, Nicolaus Lühning in der Salzstraße, Nicolaus Neuendorfer in der Bäckerstraße, Friedrich Müller in der Holzstraße und Peter Meyer in der Bungenstraße. Bis zur Mitte des 19.Jahr­hunderts überlebten nur noch die beiden zuletzt genannten.

Ein typisches Beispiel hierfür ist Friedrich Müller. Seine Brauerei in der Holzstraße 298 wurde bereits 1814 erwähnt. Er produzierte neben Bier auch Schnaps in einer eigenen Brennerei und betrieb eine Gastwirtschaft. Anfang des Jahres 1848 ging der Betrieb an seinen Sohn _Georg Wilhelm Müller über, der 1849 119 Tonnen Bier = 20 944 Quartiere (1 Quartier = 0,98 l) (21) braute. Das Braugewerbe wurde von ihm noch in geringem Umfang bis zur Mitte der 70er Jahre aufrecht erhalten, vermutlich um die eigene Gastwirtschaft mit Gerstensaft zu versorgen.

Ab Mitte des Jahrhunderts kam es auch in Stade zu deutlichen Veränderungen im Wirtschaftsleben. Es begegnet uns ein neuer Typ Unternehmer, der nicht mehr in den ständischen Traditionen verhaftet ist, sondern durch Einsatz moderner Technik und Wissen, unternehmerischen Tatendrank und Wagemut und dem Einsatz von Kapital sich ein Geschäftsfeld erschließt. Unterstützt wurden diese Veränderungen im Wirtschaftsleben durch Einführung neuer gesetzlicher Normen,  (z.B. die Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869, die zur Gewerbefreiheit in den Länder des Norddeutschen Bundes  führte, oder das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB), welches am 31. Mai 1861 von der Bundesversammlung beschlossen wurde) und die Entstehung von modernen Kapitalmärkten, die es z.B. durch die Gründung von Aktiengesellschaften ermöglichten, die für eine industrielle Produktion benötigten Finanzbedarfe zu decken.

Auch im Brauwesen vollzog sich diese Entwicklung hin zu einer industriellen, kapitalistischen Produktionsweise. Alle großen norddeutschen Brauereien entstanden im 19.Jahrhundert (Haake-Beck in Bremen 1826, 1874 die Flensburger Actienbrauerei, 1879 die Holsten-Brauerei in Altona.). Hierbei werden 2 unterschiedliche Wachstummuster deutlich. 1. Die Entwicklung aus einem eher handwerklich strukturierten Kleinbetrieb heraus, mit einem Unternehmer an der Spitze, dem es durch innovative Produktionsmethoden und Unternehmergeist gelang, Wachstum zu gewährleisten.(àBeispiel Haake Beck in Bremen) Diese Kleinbetriebe mutierten dann gegen Ende des Jahrhunderts zu Großbetrieben und wurden in Aktiengesellschaften umgewandelt, um den zunehmenden Kapitalbedarf zu sichern. 2. Die Gründung von neuen Aktiengesellschaften in den letzten 3 Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts, die von Anfang an in die industrielle Produktion von Bier einstiegen (z,B. die Holsten-Brauerei in Altona)

In Verbindung mit der Aufwertung des Bier-Images und der Ausweitung der Nachfrage führte dies zu einem regelrechten Bierboom im Deutschen Kaiserreich. Der Bierkonsum verdoppelte sich zwischen 1870 und 1900 von rund 60 l auf 120 l pro Person. Bier überflügelte wertmäßig den Steinkohlebergbau (22) und war ein gutes Geschäft geworden, dass das anlagesuchende Kapital anzog. Bier wurde nun in kleineren oder größeren industriellen Anlagen gebraut. Die Abbildung unten aus Meyers Konversationslexikon von 1896 zeigt so eine Anlage um die Jahrhundertwende.

Abb. 13: Technische Zeichnung eines Sudhauses um 1900

Stader Brauereien

Auch in Stade können diese 2 Entwicklungslinien zur Entwicklung des Braugewerbes nachgezeichnet werden, wobei die hieraus entstandenen Betriebe aber nie ein Wachstum erzielen konnten, das sie in die Lage versetzte, über den lokalen Markt hinaus zu wachsen (23).

Die Brauerei Reese in der Bungenstraße ist ein Beispiel für den 1.Typus. Am 1. April 1849 erwarb Wilhelm Ludwig -August Reese aus Northeim von Peter Meyer sen. Haus und Brauereibetrieb für 8.800 Rtl. Courant. Meyer hatte schon seit 1814 in der Bungenstraße 24 eine kleine Brauerei und Brennerei betrieben.

Gebäude des Brauereibesitzers Reese in der Bungenstraße 24. Es erhielt Ende des 19.Jahrhunderts eine neue Fassade im Stil des wilhelminischen Klassizismus

Die Rückseite des Gebäudes ist schlichter in Fachwerk ausgebildet

Der Eingangsbereich des Gebäudes.

Reese startete zunächst mit der Brennerei und nahm etwas später auch den Braubetrieb auf, wobei er den Betrieb im Sinne einer ‚Bayerischen Bierbrauerei‘ modernisierte und damit die erhöhten Ansprüchen der Konsumenten anpasste . 1881 erzeugte er mit durchschnittlich 6 Arbeitern 1600 Hektoliter untergäriges und 800 Hektoliter obergäriges Bier im Gesamtwert von 36000 Mark. 1891 wurde der Betrieb von seinen Söhnen Adolf und Ernst übernommen und als Offene Handelsgesellschaft fortgeführt. Die Zahl der Beschäftigten stieg auf 12, 1903 auf 21. Anfang 1904 schied Ernst Reese aus dem Betrieb aus und widmete sich seinen öffentlichen Aufgaben als Senator und Reichstagsabgeordneter. Nach dem Tode des Alleinbesitzer Adolf Reese 1909 übernahm seine Witwe die Geschäftsführung des Betriebes. Wirtschaftliche Schwierigkeiten in den zwanziger Jahren führten dann jedoch zur Einstellung des Betriebes.

Abb. 14a: Bierflasche der Brauerei Reese

Abb. 14b: Bierflasche der Brauerei Reese

Ein weiteres Beispiel für industrielle Produktion von Bier in kleinbetrieblichen Strukturen ist die Brauerei Hinck, die bis in die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts als letzte Bierbrauerei in Stade Bier braute. Die Brauerei Hinck entstand aus 2 Vorgängerbetrieben, der Brauerei von Georg Friedrich Fuchshuber am Wasser Ost und der Brauerei von Ernst Friedrich Wiebusch  am Siechenhofsgarten an der Chaussee nach Bremervörde (heute Ecke Bremervörder Straße/Hohenwedeler Weg auf der Höhe des Kreisels.

Abb. 15: Betriebsgebäude der Brauerei Hinck 1951. Quelle: Wilhelm Meiborg, Stade

Abb. 16: Wohnhaus der Brauerfamilie Hinck, Anfang der 70er Jahre. Quelle: Hans-Jürgen Berg, Stade.

Georg Friedrich Fuchshuber aus Oberschwaningen, im heutigen Landkreis Ansbach in Bayern, kaufte zunächst 1861 ein Gebäude in der Kehdingertor-Vorstadt und begrün­dete dort eine Brauerei. Im Januar 1867 kaufte er von Heinrich Adolph Elfers ein Haus am Wasser Ost und verlegte seine Brauerei dorthin. Nach dem frühen Tode Fuchshubers 1874 führte zunächst seine Witwe kurze Zeit noch den Betrieb weiter, verkaufte ihn aber 1875 an Otto Nietmann aus Celle, der 1880/81 zehn männliche und zwei weibliche Arbeiter beschäftigte. In diesem  Jahr produzierte  er 1620 Hektoliter Lager- und 122 Hektoliter Braunbier im Gesamtwert von 33 376 M. 1887 übernahm Heinrich Schulz die Brauerei. Sein Schwiegervater erwarb von den Erben des C.F. Wiebusch 1891 Grundstücke und Gebäude in der Schiffertor-Vorstadt für 22.000 Mark. Schulz verlegte darauf hin seine Brauerei auf dieses Grundstück, wobei sein Schwiegervater Eigentümer der Brauerei wurde, die Geschäftsführung jedoch bei ihm verblieb.

Auf diesem Grundstück, das er von seinen Eltern erbte, hatte bereits seit 1846 der Vater des Erblassers – Ernst Friedrich Wiebusch – eine Brauerei betrieben. Wie er selbst angibt, habe er dem allgemeinen Bedürfnis nach anderem und besserem Bier entsprochen und des­halb das Braugewerbe ergriffen, um den Import fremden Bieres zurückzuschrauben, er habe mehrere Jahre in Bayern und Württemberg das Gewerbe gründlich erlernt und wolle deshalb auf dem elterlichen Hofe eine „Bayrische Bierbrauerei etablieren“, wozu er den ererbten Hof wesentlich umgebaut und einen Brunnen gegraben habe, dessen Wasser ein ausgezeichnetes Bier verspräche. Bereits 1849 braute er 1020 Hektoliter. Sein Sohn C. F. Wiebusch unterbrach für einige Jahre den Brauereibetrieb und nutzte die zugehörigen umfangreichen Ländereien, wie schon sein Vater, zum Abziegeln.

Abb. 17: Ziegelstein der Fa. C.F. Wiebusch aus dem Baumhaus-Museum Berg

Schulz ließ 1891/92 ein neues Brau- und Sud­haus mit einer für die damalige Zeit modernen Dampfkesselanlage errichten. 1892/93 kam ein Eiskeller hinzu. 1892 beschäftigte er dort bereits acht Arbeiter.

1898 ging diese Brauerei vorm Schiffertor in den Besitz von Johann Wilhelm Hinck über. Johann Wilhelm Hinck war zunächst zur See gefahren und dann nach Kanada ausgewandert. In Kanada muss er sich das Geld zum Erwerb der Brauerei in Stade verdient haben. Ein für die Zeit typischer Selfmade-man. Die Fa. Hinck belieferte neben Gaststätten in Stade auch Gaststätten im Alten Land, in Kehdingen, auf der Stader Geest. Daneben wurden Niederlagen in Bremervörde und Harsefeld beliefert. Zeitweise bestanden auch Niederlagen in Hamburg.

Abb. 18: Johann Wilhem Hinck. Quelle: Wilhelm Meiborg, Stade

Die Fa. Hinck war ein klassischer Familienbetrieb. Er beschäftige im Durchschnitt 10 Personen. Neben dem Braumeister,  2 Kraftfahrer, einen Maschinisten, einen Heizer und weitere Arbeiter, die zum Flaschen abfüllen, Arbeiten im Lager, sowie Kochen im Sudhaus und bei der Gärführung eingesetzt wurden.

Abb. 19: Mitarbeiter beim Beladen des LKW’s. Quelle: W. Meiborg, Stade

Der Betrieb wurde im wesentlichen bis nach dem Kriege mit der Technologie weitergeführt, die Heinrich Schulz 1892/93 errichtet hatte. Da es keine elektrische Bierkühlung gab, mussten im Winter große Eisblöcke aus dem Stadtgraben gesägt werden. Diese wurden dann mit Pferdefuhrwerken zum Eiskeller der Brauerei geschafft. Das Sudhaus bestand damals aus Kupferkesseln, die mit Kohle befeuert wurden. Die Kohlebefeuerung erschwerte die genaue Einhaltung der für den Brauvorgang strikt einzuhaltenden Temperaturen und setzte deshalb viel Erfahrung der Braumeisters und seiner Gehilfen voraus.

Abb. 20a: Eisgewinnung am Stadtgraben

Abb. 20b: Abtransport des Eises auf einem Perdewagen

Abb. 20c: … und Abladen des Eises im Eiskeller der Brauerei. Quelle: w.Meiborg, Stade

Das Bier wurde bis nach dem 1.Weltkrieg mit Pferdefuhrwerken ausgeliefert. Es war damals üblich, dass die Bierkutscher in den Kneipen ordentlich mit Bier und Schnaps versorgt wurden. Wenn der Alkoholkonsum zu drastisch war, kam es schon mal vor, das der Kutscher während der Fahrt vom Bock fiel. Zum Glück kannten die Pferde ihren Weg nach Hause. Sofern das Pferdefuhrwerk ohne Kutscher bei der Brauerei ankam, machte sich der Brauereibesitzer Hinck mit seinem Privatauto auf dem Weg, um den verlorenen Kutscher unterwegs einzusammeln.

In den 30er Jahren wurden die Pferdefuhrwerke dann durch Lastwagen ersetzt. Im 2.Weltkrieg wurden diese jedoch eingezogen und die Produktion unterbrochen. Nach dem Krieg übernahmen die beiden Söhne Werner und Georg Hinck den väterlichen Betrieb. Sie starteten die Produktion 1947 zunächst mit der Herstellung von Molkebier. Da es an Malz mangelte wurde Molke von der Stader Meierei bezogen und unter Zusatz von Hopfen vergoren. Schon bald ging man jedoch wieder zur regulären Bierproduktion aus Gerste, Wasser und Hopfen über.

Abb. 21: LKW der Brauerei Hinck. Quelle: W. Meiborg, Stade

Abb. 22: … und ein neueres Modell. Quelle: Hans-Jürgen Berg, Stade

Die Brauerei stellte verschiedene Biere her. Stammmarke war zunächst das Hinck Pils, das Mitte der 60er Jahre vom Stader Pils abgelöst wurde. Das Stader Pils war herber mit einem höheren Hopfenanteil. Hintergrund dieser Neuausrichtung waren veränderte Konsumentengewohnheiten (Pils statt Exportbier) und die deutlichere Verbindung mit der Region.

Neben diesen Hauptmarken wurde Hinck Spezial, ein mildes Bier mit geringerer Stammwürze von 11,5%; Stader Export, ein mildes aber kräftig eingebrautes Bier mit einer Stammwürze von 13% und Malzbier hergestellt.

Abb 23a: Stader Pils

Abb. 23b: Hinck Spezial

Abb. 23c: Hinck Export

Abb 23d: Tafelbier

Abb. 23e: Hinck Malzbier

Alle abgebildeten Flaschen, teilweise noch gefüllt,  sind im Baumhaus-Museum von Herrn Hans-Jürgen Berg zu bewundern

Wie stark die Brauerei Hinck als Stader Traditionsbrauerei mit dem gesellschaftlichen Leben verbunden war, dokumentiert auch der Umstand, dass beim jährlichen Schützenumzug bei Hinck Einkehr gehalten wurde.

Abb. 24: Einkehr der Schützen bei der Brauerei Hinck während des Schützenumzuges. Quelle: W. Meiborg, Stade

Verbunden mit der Änderung des Sortiments war auch eine Modernisierung der Produktionsanlagen in den 60er Jahren. Die alten Kupferkessel des Sudhauses wurden durch neue aus Eisen ausgetauscht.  Die Befeuerung wurde von Kohle auf Erdöl umgestellt.

Abb. 25: Familie Hinck. Quelle: W. Meiborg, Stade

Abb. 26: Der Bruder des Eigentümers (Bild rechts)

Etwas später wurde in der Abfüllung auch ein Fließband eingeführt, um den Warendurchlauf in den einzelnen Produktionsstufen der Abfüllung zu beschleunigen. Die einzelnen Prozessschritte zum Abfüllen des Bieres, das Reinigen der Flaschen, die Abfüllung des Bieres in die Flaschen, das Verschließen der Flaschen, das Etikettieren der Flaschen und anschließende Verpacken in Kisten oder Kartons wurde jedoch weiterhin per Hand betrieben.

Abb. 27a: Abfüllanlage

Abb.27b: Fliessband der Abfüllanlage

Die Auslieferung des Flaschenbieres erfolgte in Holzkisten zu 20 Flaschen oder in Bleckisten mit 12 Flaschen. Es wurden hauptsächlich Flaschen von 1/3 Liter aber auch ½ Liter-Flaschen verwendet. Ende der 60er Jahre kamen zudem Kartons auf, die jedoch schnell von den heute noch verwendeten Kunststoffkisten abgelöst wurden.

Abb. 28: Blechbierkasten aus dem Baumhaus-Museum Berg

Abb. 29: Kartonverpackung aus den 70er Jahren. Baumhaus-Museum Berg

Die starke Konkurrenz der Hamburger und Bremer Brauereien, die zudem verstanden, die Gaststätten über Kredite an sich zu binden und das fehlende Kapital zur Ausweitung des Geschäftes führte 1971 zur Aufgabe der Brauerei. Grundstück und Produktionsanlagen wurden an die Bremer Haacke Beck Brauerei verkauft. Diese nutzte den Standort zunächst noch als Lager. Mitte der Mitte der 70er Jahre wurde das Grundstück an einen Investor verkauft, der die Gebäude abreißen  ließ und Wohn- und Geschäftshäuser auf dem Gelände errichtete. Damit waren alle Spuren der traditionsreichen Brauerei auf dem Gelände vernichtet. Was bleibt, ist die wehmütige Erinnerung der Stader an „ihr Bier“, sowie Bierflaschen, Biergläser und Bierdeckel der Brauerei Hinck, die von Sammlern hochgeschätzt werden.

Abb 30a: Gebäude der Brauerei kurz vor dem Abriss. Das Bauschild für den Neubau steht bereits. Quelle: Hans-Jürgen Berg, Stade

Abb. 30b: Gebäude der Brauerei vor dem Abriss.

Ein weiteres traditionsreiches Brauhaus war die ‚Bergschlösschen A.G.‘ Am 22. Februar 1872 stand im Stader Tageblatt folgende Anregung: „Unserm Bier­durst droht Gefahr! Warum wird der Gedanke, eine Actien-Bierbrauerei in Stade zu gründen nur eingehend ventilirt, aber nicht ausgeführt? An Mitteln und Beteiligung fehlt es nicht, warum zögert man? Will unsere Stadt mit ihrem (capaciösen) Bierdurst immer von Harburg u. a. Orten abhängig sein? Unsere hochgeschätzte Brauerei Reese läßt qualitativ nichts zu wünschen übrig, ist quantitativ notorisch ungenügend …“

Im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts kam es in Deutschland zu einem Gründungsboom bei den Aktiengesellschaften. Die Investitionen in der Industrie benötigten riesige Kapitalmengen, die die Finanzkraft einzelner Unternehmer überstiegen.  Insofern bot sich die Mittelbeschaffung über den Kapitalmarkt an. Im Vergleich zum Bankkredit war für Aktien nur im Gewinnfalle eine Zahlung (Dividende) für das bereitgestellte Kapital zu leisten. Für den Investor bestand durch die direkte Unternehmensbeteiligung  die Chance hohe Renditen zu erwirtschaften, gleichzeitig blieb das Risiko auf das eingesetzte Kapital und verteilte sich auf viele Aktionäre (Risikosteuerung). Auch im Brauwesen griff man auf diese Finanzierungs- und Gesellschaftsform zurück, um die Gründung neuer Brauereien oder das Wachstum bestehender Brauereien zu finanzieren und so an diesem prosperierenden Wirtschaftszweig teilhaben zu können.

So wurde beispielweise 1887 die seit 1832 bestehende Brauerei C.H.Haacke aus Bremen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und steigt zu eine der führenden Brauereien auf (Haake Beck, Becks Bier). 1874 wird von Flensburger Kaufleuten die Flensburger Actienbrauerei gegründet, die fortan das berühmteste ‚Plopp‘ produziert. 1879 erfolgte die Gründung der Holsten Brauerei AG in Altona.

Auch in Stade erkannte man also den Trend frühzeitig, benötigte jedoch einige Jahre, bis die erste Aktienbrauerei auch in Stade entstand. Dies war die ‚Bergschlößchen AG‘. Sie wurde Ende 1890 mit einem Grundkaptal von 400.000 Mark ausgestattet. Wovon der der Fabrikant W. C. F. J. G. Busch, der Kaufmann Robert Wiener, der Kaufmann Robert Brumm – alle aus Hamburg – und der Kaufmann S. Hartogs in London je 70 000 M zeichneten. Die restlichen 120.000 Mark übernahm der Hamburger Bauunternehmer Zschernitz. Dieser erwarb 1889 auch die Villa an der Bremervörder Chaussee mit Bauernhaus, Scheune und 8 Morgen Land, auf dem später die Brauerei errichtet werden sollte.

Als Leiter der Brauerei wurde 1891 der Braumeister Gotthold Müller eingesetzt. Um den Betrieb vermutlich stärker in Stader Bevölkerung zu verankern wurden  auch Stader Honoratioren in den Aufsichtsrat aufgenommen. Dies waren Mandatar L.Braack, Zimmermeister Bösch und Rentier H.Dankers. 1892 kam noch der Buchhalter Johannes Ladehoff hinzu.

Nach Fertigstellung der Bauten und Einbau der Brautechnik, konnte der erste Brauvorgang Anfang März 1892 aufgenommen und der Bierverkauf Ende Mai beginnen.

Abb. 31: Abbildung der Brauereigebäude auf Briefkopf. Im Vordergrund ist das Pförtnerhaus zu sehen, welches heute noch erhalten ist und als Unterkunft des „Stadtschreibers“ dient.

Auf diesem Briefkopf, der mir freundlicher Weise von Herrn Hans-Jürgen Berg zur Verfügung gestellt wurde ist die Brauerei sehr schön von der Bremervörder Straße aus Richtung Schiffertor kommend abgebildet. Links unten befindet sich das Wärterhaus, das noch heute steht und als Wohnung für den Stader Stadtschreiber dient. Ganz im Hintergrund steht auf dem Hügel die Villa, die heute zu einzelnen Wohnungen umgebaut ist. Hinter dem Wärterhaus sieht man das Sudhaus mit dem Schornstein.

Abb. 32: Brauerei Bergschlösschen aus Richtung Schwingewiesen fotografiert. Quelle: Baumhaus-Museum Berg

Nachdem bis September 3000 Hektoliter produziert werden konnten führte der Ausbruch der Cholera im Oktober 1892 zu einem Rückschlag in der Produktion. Doch bereits 1893 wurden fast 11.000 hl produziert. Diese entfielen hauptsächlich auf 2 Sorten »Bergschloß-Bräu« und »Doppel-Kronen-Bräu«. Das Malzbier erhielt in diesem Jahr schon auf der Internationalen Ausstellung für Hygiene in Genf den 1, Preis und eine Goldmedaille.

Abb. 33: Vor den Blechkisten wurde das Bier in Holzkisten vertrieben. Bergschlösschen-Kiste aus dem Baumhaus-Museum

Zwischen 1896 und 1907 wechselte mehrmals die Leistung des Betriebes. In diesem Zeitraum stieg die Produktion weiter kontinuierlich an. Die Zahl der Beschäftigten stieg von 18 auf 33. Seit 1910 wurde auch der Antialkoholbewegung Tribut gezollt und ein alkoholfreies Getränk hergestellt. Im 1. Weltkrieg führte die unzureichende Zuteilung von Gerste dazu, dass neben Bier auch Marmelade und sonstige Nähr- und Genussmittel hergestellt wurden, um die Fabrikkapazitäten auszulasten. Wegen mangelhafter Zuckerzuteilung musste dieser Gewerbszweig jedoch 1920 wieder eingestellt werden.

1921 wurde das gesamte Geschäftsvermögen der Bavaria-Brauerei AG in Altona übertragen und die Gesellschaft aufgelöst. Die Gebäude wurden später von den Noga Werken genutzt, die hier Öle und Fette produzierten. Heute steht an der Stelle der alten Brauerei eine sogenannte ‚Seniorenresidenz‘.

Mit dem Verschwinden der Brauereien Reese, Hinck und Bergschlösschen ging eine mehrhundertjährige Tradition des Bierbrauens in Stade zu Ende. Seit 2008 wird jedoch wieder in Stade Bier gebraut – allerdings in deutlich kleineren Maßstab. Seitdem beherbergt der Ratskeller eine Gasthausbrauerei, die das sogenannte „Gertrudenbier“, benannt nach der Schutzheiligen der Brauer herstellt. Es gibt ein helle, dunkle und rote Variante und alle schmecken köstlich.

Anmerkungen

1) Die Zahlen entstammen einer Steuerliste, die 1700 erhoben wurde, weil die Stadt sich gegenüber den Schweden verpflichtet hatte, den sogenannten steinernen Bären, einen Befestigungsdamm zu unterhalten. Die Bürger wurden mit 1% ihres Hauswertes zu dieser Unterhaltsmaßnahme herangezogen. In diesem Rahmen wurde der Wert der Häuser geschätzt. Der Häuserwert gilt dann als Indikator für die Wohlhabenheit der Eigentümer. Vgl. Stefan Kroll, Stade um 1700, S. 25 und S.85f
2) Schopenbrauer sind Lohnbraumeister, die von dem Brauer angestellt wurden, um den Brauvorgang zu leiten.
3) In Stade wurde zur Zeit des Reihebrauens die kupferne Sudpfanne vom Rat der Stadt gestellt und dem Brauer gegen Gebühr überlassen. Dazu wurde die Braupfanne beim Vorgänger in der Reihe abgebrochen und im Hause des Brauers, der nun an der Reihe war, eingemauert.
4) Ein sehr lesenswertes und gleichzeitig unterhaltsames Buch zu diesem Thema: Wolfgang Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Vgl. hierzu auch: Max Weber: Die protestantische Ethik.
5) Stefan Kroll, Stade um 1700, S.37 und S.93
6) Als Beispiel für Stade: Streit um eine adelige Brauerei in Deinste zwischen 1667 und 1675; StadtarchivStade, Dep8, Fach 27-29, Nr.5; und die Auseinandersetzung mit den Brauern und Krügern in Twielenfleth und Hollern (1780-1782), StadtarchivStade, Dep8, Fach 27-29, Nr.30
7) Für Einbeck siehe hierzu: Erich Plümer: Einbecks mittelalterlicher Bierhandel, in: Hansische Geschichtsblätter, 99. Jahrgang, S.11 ff., Köln, Wien 1981
8) Zum Brauwesen in Stade: J.Bohmbach: Brauerknechte und Totenträger. Zur Geschichte von Knechthausen
9) Jan Lokers, Axel Behne, Dirk Hempel: Das Elbe-Weser-Dreieck im 18.Jahrhundert, in Geschichte des Landes zwischen Elbe und Weser, S. 339
10) Vgl. hierzu Anne-Katrin Henkel: „ein besseres Loos zu erringen als das bisherige war“. S.14 ff.
11) Ulrich Wyrwa, S.68
12) Thomas Hengartner, Christoph Maria Merki (Hg): Genussmittel – Ein kulturgeschichtliches Handbuch, S.52ff
13) Um 1700 gab es in Stade bereits 17 Branntweinbrenner, wovon jedoch 11 ihr Gewerbe ruhen lassen mußten, weil die Stadt die Brennkessel eingezogen hatte. Stefan Kroll, S.130
14) Stadt Stade (Hg): Stade – Von den Siedlungsanfängen bis zur Gegenwart, S263
15) Ulrich Wyrwa: Branntwein und „echtes Bier“, S.74
16) Ders. S.84 ff.
17) Ders. S.148 ff.
18) Thomas Hengartner, Christoph Maria Merki (Hg): Genussmittel – Ein kulturgeschichtliches Handbuch, S.40
19) Ulrich Wyrwa, S.165 ff.
20) Zur Geschichte des Brauwesens im 19.Jhd. siehe: Bernhard Wirtgen: 125 Jahre Stadtsparkasse Stade. Aus dem Stader Wirtschaftsleben des 19.Jahrhunderts, Stade 1961
21) W. Klenck: Heimatkunde des ehemaligen Kreises  Neuhaus an der Oste, Lamstedt 1957, S.454
22) Thomas Hengartner, Christoph Maria Merki (Hg): Genussmittel – Ein kulturgeschichtliches Handbuch, S.40
23) Die nachfolgenden Beschreibungen der Stader Brauereien entstammen B.Wirtgen ‚Aus dem Stader Wirtschaftsleben des 19.Jahrhunderts, S. 66 ff. Die Informationen zur Brauerei Hinck wurden freundlicher Weise noch ergänzt durch Herrn Wilhelm Meiborg aus Stade. Herr Meiborg war der letzte Braumeister der Brauerei Hinck und ist mit der Familie Hinck verwandt.

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