Archäologische Spurensuche auf der Kreisstraße 30

von Andrea Finck

Der Artikel erschien in: „Archäologie in Niedersachsen“ 2011, Isensee-Verlag Oldenburg

 
 Die künftige Kreisstraße 30 verbindet auf vier Kilometern Länge die Harsefelder Straße mit der Bundesstraße 73 nahe Stade. Im Vorfeld der Baumaßnahmen wurden im Sommer 2010 auf der Trasse archäologische Voruntersuchungen durchgeführt, da im Trassenbereich etliche Fundplätze aktenkundig waren. In der Trasse wurden durch einen Kettenbagger zunächst systematisch Suchschnitte angelegt, um den Umfang für künftige archäologische Ausgrabungen zu klären. Die archäologischen Voruntersuchungen begannen nahe dem Kreiselanschluß an der Harsefelder Straße.

Bereits am ersten Tag wurden archäologische Befunde sichtbar. Die dichte Befundkonzentration machten eine Flächenerweiterung in diesem Bereich notwendig. Erfasst wurden auf der 30 mbreiten Trasse mehrere Wegespuren (Abb. 1) sowie eine Ansiedlung mit diversen archäologischenBefunden (Fundplatz Nr. Hag 30). Keramikscherben aus den Befunden gaben einen ersten Hinweis auf die Zeitstellung der Siedlung, die demnach in die ausgehende Bronzezeit bzw. den Übergang zur frühen vorrömischen Eisenzeit (etwa 900 – 600 v. Chr.) datiert.

 

Abbildung 1

 

Die von Nord nach Süd verlaufenden Wegespuren konnten zeitlich nicht genau eingeordnet werden, sie sind aber sicherlich jünger als die Gruben. Vermutlich war dieser Wegverlauf von Stade in Richtung Süden über Riensförde und Harsefeld jedoch bereits seit der Vorgeschichte gut frequentiert und diente schon früh als Handelsroute, die dem späteren Verlauf des Heer- und schriftlich überlieferten mittelalterlichen Pilgerweges von Jütland nach Italien entsprach. Der Weg überquerte im Norden durch eine Furt den kleinen Flussverlauf der Steinbeck. Bereits Jahre zuvor wurden hier nahe der aktuellen Befundkonzentration im Bereich des Ortes Hagen-Steinbeck mehrfach entsprechendeWegespuren im Boden beobachtet sowie tiefe Rinnsale in den Hängen der Steinbeck fotografisch dokumentiert.

Weitere Suchschnitte im Trassenverlauf in Richtung Osten erbrachten erneut eine größere Anzahl von Befunden, darunter Gruben unterschiedlicher Größe und Funktion sowie mehrere Pfostensetzungen. Insgesamt ließen sich die archäologischen Befunde des Fundplatzes auf einer Länge von 130 m dokumentieren. Sowohl im Norden als auch im Süden sind jedoch weitere Befunde außerhalb des Trassenbereichs zu erwarten. Im Osten war die vorgeschichtliche Ansiedlung von einem ehemaligen Baumbestand begrenzt, wie zahlreiche große teller- und halbkreisförmige, fundleere Bodenbefunde in diesem Bereich verrieten. Bei der später erfolgtenvollständigen Ausgrabung des Fundplatzes ließen sich wichtige Erkenntnisse bezüglich derBefundsituation und der Funde herausarbeiten. Auffällig war zum Beispiel die Mehrphasigkeit mancher archäologischer Befunde, die sich durch unterschiedliche Schichtungen der Grubenverfüllung äußerte. In zwei Fällen konnte nach einer schmalen Brandschicht eine weitere Nutzung der Grube dokumentiert werden. Dies war beispielsweise bei Befund 3 – einer 3,50 m breiten und bis zu 1,50 m tiefen Grube der Fall, die vermutlich ursprünglich als Wasserspeicher oder Brunnen diente (Abb. 2). Sie barg viele Fragmente kleinerer Gefäße unterschiedlicher Form, die zum Teil mit Henkeln oder Ösen versehen waren. Bei dem anstehenden Boden handelte es sich um eiszeitliche Sande, die in dem freigelegten Abschnitt stark lehmhaltig waren und somit die für die Dokumentation notwendige Profilherstellung der Gruben erheblich erschwerte.

Abbildung 2

Insgesamt ließ sich von der geborgenen Fundkeramik bei der späteren Begutachtung eineerstaunlich große Formenvielfalt der Gefäße ableiten. Neben den bereits erwähnten kleinen schalen und kugelförmigen Gefäßfragmenten konnten beispielsweise zahlreiche mit unterschiedlichen Fingertupfen verzierte Randfragmente geborgen werden, die zu größeren, teils gerauhten Gefäßen gehörten. Zusätzlich gab es weitmündige, terrinenartige Fragmente mit abgesetztem Rand, Keramikfragmente von hohen, schlanken Gefäßen mit Bandhenkel und solche Gefäßteile, die mit einem randständigen Bandhenkel versehen waren. Aus einer runden Grube stammten Randfragmente eines hohen Vorratsgefäßes, das einen Durchmesser von 50 cm besaß, sowie ein 10 cm langer und bis zu 6 cm breiter Schleifstein aus Buntsandstein (Abb. 3). Als Streufunde lagen wenige bearbeitete und mit Retusche versehene Flintgeräte vor.

Abbildung 3a

 Die Sondierungen erbrachten nach 2,5 km südlich des Stader Flugplatzes wieder zahlreiche archäologische Befunde. Kurz vor einer leichten Anhöhe lagen in einer Höhe von + 17,80 NN in unregelmäßigem Abstand mehrere Feuerstellen, die außer durch Feuer geschädigte Steine und Holzkohle keine datierbaren Funde enthielten. Bei der späteren Flächenerweiterung konnte kein eindeutiges Gliederungsschema des Feuerstellenfundplatzes (Fundplatz Nr. Std 249) erkannt werden, so dass er sich vom Typ her der Gruppe derdie nach derzeitigem Publikationsstand besonders zahlreich aus Nordostdeutschland bekannt sind.

Abbildung 3b

Im direkten Umkreis der freigelegten Feuerstellen fehlten datierende Siedlungsbefunde auf der  Trasse der Kreisstraße 30. Vermutlich steht dieser Feuerstellen-Fundplatz jedoch mit Befunden der frühen vorrömischen Eisenzeit oder der Endbronzezeit in Verbindung, die jenseits der heute begradigten Heidbeck in 180 m Entfernung bei weiterer Suchschnittanlage lokalisiert wurden. Wie in Hagen konnte auch in den archäologischen Befunden des Fundplatzes Nr. Std 250 ausgesprochen viel Keramik geborgen werden. Randfragmente mit Fingertupfenzier gaben u.a. den entscheidenden Datierungshinweis. Bemerkenswert waren darüber hinaus Fragmente eines dickwandigen, grob gemagerten runden Tellers von 24 cm Durchmesser, zwei flache Spinnwirtel und verformte Fehlbrandkeramik, die aus einem Keramikbrennofen stammte, der leider nur noch in Resten vorhanden war. Die Befunde verteilten sich über ein weiträumiges Areal, das durch einen Feldweg geteilt wurde. Der erste 100 m lange Abschnitt lag nördlich des Weges in unmittelbarer Nähe des Flugplatzes auf einer Höhe von +21,45 NN. Hier konnten nur wenige Befunde dokumentiert werden, wie z.B. die bereits erwähnten Reste eines Brennofens, zwei vermutlich zeitgleiche kleinere Gruben im unmittelbaren Umfeld sowie wenige Pfostengruben jüngerer Zeitstellung. In dem zweiten Abschnitt südlich des Feldweges setze sich die spärliche Befundverteilung zunächst fort. Erst nach 65 m verdichteten sich die archäologischen Befunde des Fundplatzes, die dann auch in ihren Ausmaßen erheblich zunahmen. So konnten drei größere, unmittelbar benachbarte Gruben dokumentiert werden, darunter ein flaches Grubenhaus. Mehrere Pfostensetzungen in der Nähe gehörten vermutlich zu einem kleineren Speichergebäude. Zahlreiche Gruben unterschiedlichen Formats, diverse Steinsetzungen und vereinzelte Pfostengruben schlossen sich nach Süden hin an,so dass insgesamt 90 Einzelbefunde dokumentiert wurden.

Abbildung 4a

Abbildung 4b

Rätsel bereitete eine 6 m x 4 m große schlüssellochförmige Bodenverfärbung auf der Trasse nahe des Grubenhauses (Abb. 4). Hatte der Bagger eine seltene jungbronzezeitliche Bestattungsart in Form eines Schlüsselochgrabens freigelegt? Bisher wurde diese Grabform im Landkreis Stade und den angrenzenden Gebieten nicht nachgewiesen. Diese Form der Brandbestattung, die mittig häufig einzelne Urnenbestattungen beherbergte und mit einem Hügel versehen war, ist in Deutschland vielmehr in Westfalen und dem südwestlichen Niedersachsen verbreitet. Ungewöhnlich wäre auch die unmittelbare Lage einer Grabstätte zu den Siedlungsbefunden. Nach mühevoller Arbeit löste sich langsam die Spannung: der eigentümliche Befund barg einen riesengroße Findling. Der 3 m x 2 m große Monolith sorgte schon früher für Aufsehen, denn sicherlich war der, durch die Eiszeit hier her gelangte Granit, damals im Gelände gut sichtbar. Vermutlich war dieser Monolith sogar ausschlaggebend für die Anlage der zahlreichen vorgeschichtlichen Gruben an dieser Stelle und wurde vielleicht als Kultobjekt verehrt. Jahrtausende später versuchte man, den Stein zu bergen. Als dies nicht gelang, sollte er gesprengt werden. Die kreisförmige Eingrabung und mehrere gezielt angebrachte Bohrlöcher neuzeitlichen Datums sowie die ausgebrochenen Flächen am Granit sind Zeugen dieser Aktionen. Dabei wurden ältere archäologische Befunde gestört.

Mit Hilfe eines Krans wurde der Findling nach der Dokumentation gehoben (Abb. 5) Dabei zeigte sich, dass die damaligen Bohrungen dem Stein mehr zugesetzt hatten, als zunächst zu vermuten war. Der Findling war leider komplett zerbrochen. Es ist geplant, den wieder zusammengesetzten Findling auf einem Kreisel der Kreisstraße neu aufzustellen.

Abbildung 5

Im Vorfeld der eigentlichen Straßenbaumaßnahmen konnten wichtige archäologische Befunde und Funde gesichert werden, die wesentliche Erkenntnisse zur Lebensweise der Menschen im Stader Raum vor ca. 2700 Jahren liefern. Aspekte des alltäglichen Lebens wurden durch verschiedene Handwerksnachweise und Hinweise zur Nahrungsbevorratung näher beleuchtet. Die fast 3 km auseinanderliegenden zeitgleichen Fundplätze legen nahe, dass damals kleinere Siedlungseinheiten nebeneinander existierten. Zugleich werden neue Forschungsfragen hinsichtlich kultisch-religiöser Praktiken in der späten Bronzezeit und der frühen vorrömischen Eisenzeit aufgeworfen. Dies betrifft einerseits den großen Monolithen, andererseits den Feuerstellenplatz, der abseits des eigentlichen Siedlungsgeschehens errichtet wurde. So könnte neben einer profanen Nutzung der Feuerstellen als Herd- oder Kochgruben auch eine kultisch-religiöse Funktion, vielleicht im Rahmen eine Fruchtbarkeitkultes, in Frage kommen.

Weiterführende Literatur:

Karl Kersten, Frühgeschichtliche Heerwege um Stade, in: Stader Archiv, Neue Folge Heft 30,
Jahrbuch des Stader Geschichts- und Heimatvereins, Stade 1940, 55 ff.

Jens-Peter Schmidt, Dominik Forler, Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen in Jarmen, Lkr. Demmin und die Problematik der Feuerstellenplätze in Norddeutschland und dem südlichen Skandinavien. Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 51, 2003, 31 ff.

Otto Mathias Wilbertz, Jean Bourgois, Langgräben und Schlüssellochgräben der jüngeren Bronze und frühen Eisenzeit zwischen Aller und Dordogne, Rahden/Westf., 2009.

Abbildungsunterschriften
Abb. 1 Wegespuren und weitere Befunde in der freigelegten Fläche.
Abb. 2 Befund 3 im Nordprofil.
Abb. 3a Funde des Fundplatzes Nr. Hag 30. Abb. 3b Funde des Fundplatzes Nr. Std 250.
Abb. 4a Blick auf die schlüssellochförmige Bodenverfärbung.Abb. 4b Blick auf den gesprengten Monolithen.Abb. 5 Der Monolith wird mit einem Kran geborgen.

Abbildungsnachweis

 Abb. 1, 2, und 5: Fotos: A. Finck, Oldendorf; Abb. 3a-b: Foto: B. Schilke, Oldendorf; Abb. 4a-b Airborne, www.kaping.info, U. Monsees, Stade.